Einem Forscherteam unter Leitung von Wissenschaftlern des Universitätsklinikums Essen ist es gelungen, ein solches „Ur-Gen“ zu entdecken.
Als unsere Vorfahren noch die Savannen Afrikas bewohnten, benötigten sie Erbanlagen, die das Überleben in dieser unwirtlichen Umwelt sicherten. Solche Gene verhinderten einen raschen Abbau von Körperfett bei Nahrungsmangel und stellten das perfekte Funktionieren der Immunabwehr sicher. In der heutigen Zeit, die durch einen Überfluss an Nahrung und durch Bewegungsmangel gekennzeichnet ist, führen solche Gene zu Übergewicht, Fettsucht und Bluthochdruck.
Menschliches „Ur-Gen“ entdeckt
Im Januar 1998 berichteten die Wissenschaftler in Essen zum ersten Mal über eine Veränderung in einem sogenannten „G-Protein“. Sie führt zu einer neuen Proteinvariante und zu Bluthochdruck. Dieser Befund konnte durch voneinander unabhängig arbeitende Forscherteams – unter anderem in Berlin und Regensburg, aber auch in Australien – inzwischen bestätigt werden und hat international große Beachtung gefunden.
In einer durch das Ministerium für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen federführend finanzierten Studie untersuchten die Essener Forscher – die Professoren Dr. Winfried Siffert, Pharmakologie, Dr. Karl-Heinz Jöckel, Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie, Dr. Bernhard Horsthemke, Humangenetik, Dr. Hans Grosse-Wilde, Immunologie, und Dr. Dietmar Stolke, Neurochirurgie, – und die Münsteraner Forscher Professor Dr. Bernd Brinkmann und Dr. Peter Forster, Rechtsmedizin, die Herkunft dieses Bluthochdruckgens. Dazu nutzten sie weltweite Kontakte und baten Kollegen in allen Kontinenten, Proben zu sammeln. Diese wurden in Essen auf das Vorhandensein des „Ur-Gens“ hin untersucht. Zusätzlich wurden in Zimbabwe, Südafrika und China, Probanden gemessen und gewogen.
Zur großen Überraschung aller Beteiligten stellte sich heraus, dass die Genveränderung besonders oft bei Buschmännern, Pygmäen, Ureinwohnern von Papua Neuguinea und bei australischen Aborigines vorkommt. Bei Menschenaffen wurde sie hingegen nicht gefunden. Sie könnte vor mindestens 150 000 Jahren entstanden sein.
In homozygoter Form findet sich das Gen bei 60 v. H. aller Schwarzafrikaner und amerikanischen Schwarzen, bei 20 v. H. der untersuchten Ostasiaten – Chinesen, Japaner und Koreaner – und bei rund 10 v. H. der Kaukasier. Gleichzeitig konnte bei gesunden, jungen Männern aus Deutschland, China, Südafrika und Zimbabwe gezeigt werden, dass Träger des Gens ein zwei- bis dreifach gesteigertes Risiko für Übergewicht haben. Dies bedeutet aber keinesfalls, dass Fettsucht eine klassische Erbkrankheit ist und dass alle Genträger zwangsweise übergewichtig werden. So findet man bei jungen Männern, die in ländlichen Gebieten von Zimbabwe wohnen, Übergewicht sehr viel seltener als bei Männern aus der Hauptstadt Harare, obwohl das Gen bei beiden Gruppen gleich häufig auftritt.
Dagegen unterscheiden sich die Lebensgewohnheiten in Bezug auf Ernährung und körperliche Aktivität in ländlichen Gebieten Zimbabwes drastisch von denen in Harare, das eher einer westlichen Hauptstadt ähnelt. Hier kommt es offensichtlich zu einer Kollision zwischen dem ursprünglichen Genbestand aus „Jäger- und Sammlerzeiten“ und den ganz anderen Lebensbedingungen der industrialisierten Welt. Die Erbanlagen des Menschen passen sich Veränderungen im Alltagsleben nur zäh an; der ursprüngliche Nutzen dieses menschlichen „Ur-Gens“, das unsere Vorfahren möglicherweise vor dem Verhungern schützte, wird heute zu einem Risiko.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beobachtet mit Sorge die weltweite Zunahme von Übergewicht und Fettsucht, den Hauptrisikofaktoren für Bluthochdruck und koronare Herzkrankheit. In diesem Zusammenhang haben die von den Essener Wissenschaftlern erhobenen Befunde möglicherweise auch eine gesundheitspolitische Bedeutung: Angesichts der großen Anzahl von Genträgern in Afrika und Asien wäre bei einer völligen Angleichung der Lebensverhältnisse an die der westlichen Industrienationen, geprägt durch übermäßige Kalorienzufuhr und Bewegungsmangel, mit einem epidemieartigen Anstieg dieser Erkrankungen zu rechnen.
Inzwischen gibt es weitere Befunde, welche die „Ur-Gen“-Hypothese bestätigen: Untersuchungen an weißen Blutzellen (neutrophilen Granulozyten) von Genträgern belegen, dass diese Zellen auf einen adäquaten Reiz stärker reagieren. So wandern diese „Fresszellen“ schneller in Richtung auf einen Krankheitserreger als die Zellen von Menschen, die das veränderte Gen nicht tragen. Auch diese Eigenschaft könnte bei unseren Vorfahren sehr wichtig gewesen sein, da durch Verletzungen eingedrungene Bakterien schneller und wirkungsvoller bekämpft werden konnten.
Mit einem inzwischen etablierten Gentest können die Essener Wissenschaftler mittels einer Blutprobe oder eines Mundabstrichs nachweisen, wer das „Ur-Gen“ trägt und deshalb zu Übergewicht und Bluthochdruck neigt. Betroffene sollten sich freilich nicht mit dem Risiko abfinden, sondern ihm durch eine gesunde Lebensweise begegnen.
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Literatur:
W. Siffert, P. Forster, K. H. Jockel, D. A. Mvere, B. Brinkmann, C. Naber, R. Crookes, P. Heyns Du, J. T. Epplen, J. Fridey, B. I. Freedman, N. Muller, D. Stolke, A. M. Sharma, K. al Moutaery, H. Grosse-Wilde, B. Buerbaum, T. Ehrlich, H. R. Ahmad, B. Horsthemke, E. D. Du Toit, A. Tiilikainen, J. Ge, Y. Wang, and D. Yang. Worldwide ethnic distribution of the G protein beta3 subunit 825T allele and its association with obesity in Caucasian, Chinese, and Black African individuals. J.Am.Soc.Nephrol. 10 (9):1921-1930, 1999.
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Weitere Literatur:
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